Von Schwänen und Feuerwehrmännern: Über die Kunst der Koexistenz

Pilzbewuchs_Baum_EW
Erst wenige Tage ist es her, dass sich in Kassel an einem der sonnigsten Tage des Jahres die Leiter der letzten vier documenta-Ausstellungen, Catherine David, Okwui Enwezor, Roger M. Buergel und Carolyn Christov-Bakargiev mit dem Leiter der nächsten, Adam Szymczyk, trafen, um gemeinsam mit Wissenschaftlern und Künstlern die theoretischen Konzepte der jüngeren documenta-Vergangenheit zu rekapitulieren und einen Ausblick auf die kommende zu geben. So unterschiedlich die Konzepte der vergangenen vier documenta-Ausstellungen gewesen sein mögen, so einigt sie doch die der Kunst im allgemeinen zu Grunde liegende Idee und ihre Praxis: Das In-der-Welt-Sein als Teil dieser sowie die Welt als Ganzes zu sehen und sich in ihr zu bewegen. Dies betrifft zum einen die erwähnten Praktiken in der Kunstwelt, in der es selbstverständlich ist, dass über Ländergrenzen hinweg Austausch, Verkehr und Handel besteht. Es bezieht sich auch und vor allem auf das Wesen der Kunst, ständig in Bewegung zu sein, kontinuierlich seine Grenzen zu erweitern, im Austausch mit anderen Disziplinen zu stehen und auch seine Perspektive zu verändern. So befragte Catherine David beispielsweise in der documenta X anhand neuer Präsentationsformen die Komplexität ästhetischer Praktiken und ihrer Entstehungszusammenhänge. Und Okwui Enwezor rückte in der von ihm kuratierten Documenta 11 die Frage nach der politischen, kulturellen und ethischen Bedeutung der Kunst im Kontext einer sich neu konstituierenden Weltordnung in den Fokus. Die Position der Kunst als ein Ort der Reflexion, der Spiegelung gesellschaftlicher Umbrüche, aber auch als Agens für Veränderungen ausgehend von der Kunst wurde dabei immer wieder neu aufgegriffen und zeitlich kontextualisiert.
In zwei Jahren wird die documenta 60 Jahre alt und zelebriert ihren Geburtstag mit einer Ausstellung, die an gleich zwei Orten stattfinden wird: In Kassel und in Athen. In Athen beginnt sie sogar schon zwei Monate vorher, nämlich im April 2017. Mit der Wahl Athens als Spielort der documenta 14 greift Kurator Adam Szymczyk die dortige Lage auf, in der die Einwohner Athens zu Akteuren in der aktuellen Krise werden. Sie besetzen leerstehende Ladenlokale und andere Gebäude. Bieten gegenseitige Hilfe mit solidarischen Projekten oder bespielen diese Orte mit Kunst. Als eine Art „Gegenprojekt zur herrschenden Rhetorik“ bezeichnet Szymczyk die documenta in Athen. Gegen die „Infantilisierung“ von Außen wird mit der Innenperspektive auf das verwiesen, was der Titel der nächsten documenta Von Griechenland lernen verspricht: Solidarität mit den anderen, den Begriff des Bürgers auch auf jene auszuweiten, die kein Wahlrecht besitzen und Hilfe nicht auf ihre Finanzierbarkeit zu reduzieren.
Die einzige Freiwillige Feuerwehr Griechenlands, OPEAN genannt, scheint diese Solidarität zu verkörpern. Die Mitarbeiter sind echte Waldliebhaber und eilen bei Waldbrandgefahr auch schon mal nur in „Hose, T-Shirt und Stiefeln los“, um „ihren Wald“ zu retten. Drei der zehn Autos der Freiwilligen Feuerwehr OPEANs stammen aus Deutschland. Dabei werde OPEAN am häufigsten gerufen „weil sich mal wieder deutsche Touristen beim Wandern verirrt haben“, so der Präsident OPEANs und gelernter Imker, Athanasios Evangelinos.
Dass Solidarität auch über biologische Grenzen hinausgehen kann, hat bereits ECHTWALD-Künstler Tue Greenfort in seinem Beitrag The Wordly House (2012) auf der dOCUMENTA 13 gezeigt. In Anlehnung an die Schriften Donna Haraways über Multispezies-Koevolution hat Greenfort in einem in den 1950ern für die heimischen schwarzen Schwäne in der Kasseler Kaiseraue erbauten Bootshaus ein Archiv errichtet. In dem Häuschen mit authentischen Spinnweben in den Ecken und idyllischer Wasserlage konnten sich die Besucher Filme über das Zusammenleben von Mensch und Tier anschauen. Die Schwäne waren übrigens seit den 1970er Jahren nicht mehr im Bootshaus. Dafür belegen Fußspuren, dass hin und wieder mal ein Waschbär vorbeischaut. So also kann Multispezies-Koexistenz aussehen.

Geschrieben am 27. Juli 2015